19.01.2008 / 15:13 / Bruno Klang liest: Lerche (Dezsö Kosztolányi)

Beim Googeln nach der verlorenen Zeit (202-202)

Kosztolányi schreibt "Lerche" im Jahr 1923, die geschilderten Ereignisse siedelt er allerdings im Spätsommer des Jahres 1899 an. Das ist eine augenfällige Parallele zu einem wesentlich berühmteren und umfangreicheren Werk; in der "Lerche" taucht sogar an zwei Stellen die Dreyfus-Affäre auf. Dazu später; erlauben Sie mir an dieser Stelle eine kleine Abschweifung.

Wenn Sie schon seit längerem planen, selbst eine Verlorene Zeit zu schreiben, wenn Sie öfter schon mit gespitztem Bleistift vor einem leeren Blatt Papier sassen und grübelten, ob Sie sich nicht doch zuerst Ihren "Moby Dick" schreiben, zum Eingrooven, so lassen Sie sich sagen: 2008 ist genau das richtige Jahr. Denn Proust hat ernsthaft mit seiner "Recherche" im Jahr 1908 angefangen. Das ist ein schönes Jubiläum und damit bekommt Ihr Projekt den richtigen astrologischen und jubilarischen Rückenwind. Naheliegenderweise würden Sie die ganze Geschichte genau um 100 Jahre verschieben müssen. Dazu möchte ich Ihnen auch einige chronologischen Handreichungen geben:


Die Welt der Guermantes
Ideal wäre es, wenn Sie 1971 geboren wären, aber natürlich hoffe ich, dass Sie das Jahr 2022 gesund und munter überleben. Die Handlungszeit Ihrer verlorenen Zeit spannt sich von 1990 bis 2019, davon ausgenommen ist Ihre Swann-Episode, mit der Sie auch das Buch anfangen lassen. Ihr Herr Schwann lernt Odette (Vorschlag: Sabine) 1979 auf einer Gorleben-Demo kennen. Sie müssen sich allerdings etwas einfallen lassen, warum Sabine eine mésalliance ist; vielleicht ist sie die Enkelin von Adolf Eichmann? Jedenfalls heiratet er sie erst 1989, was Sie dann schön mit dem Mauerfall zusammenkneten können. Ihre Tochter Gilberte (Daniela) lernt Ihr eigentlicher Held Marcel (beide sind Jahrgang 1980) im Jahr 1995 im Tiergarten kennen, seine erste grosse Liebe. Lassen Sie die beiden dann auch einmal auf die Love Parade tanzen und sich SMS schicken.

Wichtiger sind allerdings die Sommerferien 1997 auf Sylt inklusive junger Mädchenblüte und der jungen Albertine (Anja?). Beim anschliessenden Komplex mit den Guermantes und Monsieur Charlus müssen Sie sich etwas einfallen lassen. Marcel lernt Charlus (vielleicht Jürgen Trittin) kennen und trifft die Guermantes (Claudia Roth, Joschka Fischer) auf dem Grünen-Parteitag 1999. Ja, das passt. Ein Jahr später zieht er mit Anja in eine Wohnung am Prenzlauer Berg. Die beiden nerven sich, wozu nicht unwesentlich Anjas lesbische Freundin Andrea beiträgt. Anja stirbt im Jahr darauf, ob durch Autounfall oder im World Trade Center, das müssen Sie selbst entscheiden. Danach verplätschert bekanntlich der Plot etwas, bevor Sie in einem grandiosen Fest 2019 alle Überlebenden noch einmal auftreten lassen.

Wenn Sie finden, das klingt alles mehr nach "Liegen lernen" als nach Proust, mögen Sie recht haben. Vielleicht sind unsere Zeiten nicht mehr so grandios, aber wer weiss, wie wir das nach dem Zweiten Ersten Weltkrieg (2014-2018) sehen. Und bis dahin haben Sie noch viel, viel Zeit.

202 von 299 Seiten

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